Chronik

Die Kurzchronik zum 100. Jubiläum vom 06.12.2018:

Chronik_100_Jahre_Steinhäusel_2018

Und wie es zum 75. Jubiläum war:

Chronik zum 75. Jahrestag des „Hornbacher Steinhäusel“
Verfasser: Sigurd Becker im Dezember 1993

Jubiläumsfeier am Hornbacher Steinhäusel.
Ein alter und schöner Brauch wird 75 Jahre alt.
Einzigartiges und großes Naturerleben

Vor 75 Jahren besuchte Lehrer Wilhelm Becker mit seinen Schulkindern zum ersten Mal den Belzenickel mit seinen Zwergen am Steinhäusel. Zum 40. Mal führt Lehrer i.R. Sigurd Becker die Kinder und Erwachsenen hinaus zum Steinhäusel.

Entstehung des Brauches

Im Jahre 1914 kam Wilhelm Becker als junger Lehrer an die einklassige Volksschule nach Hornbach. Schon bald hörte er von seinen Schulkindern, dass draußen im Wald am Krähberg in einer Felsengruppe der Belzenickel wohnen soll. Jahr für Jahr plagten ihn seine Schüler mit dieser Erzählungen bis er endlich 1918 am 6. Dezember gegen Abend mit seinen Schulkindern hinauszog. Und wahrhaftig, dort stand der Belzenickel mit seinen Zwergen inmitten hoher Tannen zwischen den Felsen. Und weil einige große Granitsteine so übereinandergeschichtet lagen, und dass Ganze aussah wie ein kleines Häuschen, hieß es von da an:

D A S   H O R N B A C H E R   S T E I N H Ä U S E L

Gang zum Steinhäusel

Auch in diesem Jubiläumsjahr ziehen am 6. Dezember 1993 wieder hunderte von Kindern und Erwachsenen aus Hornbach, dem Weschnitztal, Weinheim, Mannheim und von der Bergstraße mit Laternen hinaus zum Steinhäusel. Sogar Familien von weit her – aus Mainz, Darmstadt, Frankfurt und Oberhessen – kommen nach Hornbach, um den Gang durch das Kingental, den romantischen Wald und die Feier mitzuerleben.

Die Feier beginnt praktisch schon unten im Dorf. Kinder und Erwachsene versammeln sich um 16.45 Uhr in Hornbach an der Dorfschänke. Wenn es dunkel wird, singen Hornbacher Kinder das Belzenickellied in Mundart, getextet, komponiert und mit der Gitarre begleitet von Sigurd Becker.

„Oam sechsde, woann es dunkel wead, do treffe mea uns all; genau in de Mitt vun Hornbach, on de Dorfschänke beim Kall.“

Nun setzt sich der Zug in Bewegung über den Au-Weg am Klingental vorbei bis zu einer Abzweigung, an der ein buntbemaltes Schild auf den weiteren Weg aufmerksam macht.

„Doann laafe mea den Auweg naus, un kumme on ä Schild; noch zäije Kilometer, stäit uf dem grouße Bild.“

10 Kilometer, das kann doch nicht wahr sein, da hat sicher ein Zwerg noch eine Null hinzugeschummelt. In Wirklichkeit sind es nur noch etwa 1000 Meter. Die Kinder singen mit Begeisterung ein schönes, altes Weihnachtslied. Danach blicken alle hinauf zur Wiese und zum Wald. Plötzlich wird die Umgebung ganz hell. Die Zwerge werfen Sternspritzer und Leuchtkugeln erhellen die Landschaft.

„Jetzt singe mea ä schäines Lied un gucke on de Wald hie; vun de Laichtkugele un Sternspritzer wäd’s ringsrum rout un grie.
Noach ah uno uh, des war moal schäi, gäit’s steil de Bäig ä nur; iwa die Himmelslada, wu ma veel schnaufe muss.“

Ja, die Himmelsleiter, die hat es in sich. Sie heißt so, weil der Weg ungefähr 200 Meter steil durch den Wald hinaufführt. Und es ist zu dieser Jahreszeit glatt und rutschig und so mancher muss Bekanntschaft mit dem Boden machen. Leuchtende Laternen an den Bäumen weisen den Weg. Am Anfang der Himmelsleiter hängt an einer uralten und mächtigen Buche ein stimmungsvolles Bild, gemalt, wie auch die anderen, von der künstlerisch begabten Hornbacherin Waltraud Heiß.

Nun geht es los. Die Kinder stellen sich hintereinander auf, schieben sich an, gehen langsam hoch und sprechen wiederholt: „Schiebkaline, Schiebkaline, gute alte Dampfmaschine!“ In der Mitte des Weges angekommen rufen alle: „Mea packes noch, mea packes noch…!“ Und oben am Ende der Himmelsleiter sagen sie nach großer Anstrengung und Mühe ausgepumpt, aber mit viel Freude: „Mea häwes gepackt, mea häwes gepackt…!“

Ein weiteres Schild zeigt die Richtung zum Steinhäusel an. Der Weg biegt links ab und schlängelt sich langsam ansteigend dem Steinhäusel zu. „un pletzlich strahlt’s im goanze Wald, die Chrischtbeem laichte hell; ja des is unsa Stoahaisel mit de Zwäje un dem Belznickel.“

Ja, schon von weitem erblickt man das Licht von erhellten Weihnachtsbäumen und mancher ist allein von diesem Anblick fasziniert und verzaubert. Spontan kam an dieser Stelle im vergangenen Jahr die Stimme einer jungen Mutter, ihr Kind an der Hand führend: „Das hat sich aber gelohnt!“ Der Anblick des Hornbacher Steinhäusels ist einmalig. Der Belzenickel steht oberhalb des Felsens mit dunklem Umhang, langem Bart, roter Zipfelmütze und dickem Stock. Um ihn herum sitzen die urwüchsigen Zwerge: Grasmück, Wurzelsepp, Borzel, Hans-Kaspar, Gaierschnawel und Schaiergawel. An den Christbäumen brennen Kerzen und rund um das Steinhäusel hängen kunstvoll gebastelte Laternen.

Feier am Steinhäusel

An einer bedruckten Naturbühne findet die Feier statt: Granitfelsen am steilen Hang, hohe Fichten, Buchen, Terrassen. Hinter der Abgrenzung, an der die  leuchtenden Laternen hängen, stehen erwartungsvoll Kinder und Erwachsene. Es wird still. Das freigestaltete und teilweise improvisierte Spiel beginnt. Weihnachtsklänge der Bläser schallen ins Tal. Die Begrüßung des Belzenickels durch die anwesenden Kinder: „Guten Abend, lieber Belzenickel!“ und das Zwiegespräch des Lehrers mit dem jetzt 1044 jährigen Alten „Über die Freude der Kinder in der Vorweihnachtszeit, seine und der Zwerge Arbeit, das Winterwetter und den schwierigen Weg über die Himmelsleiter, seine Gesundheit…, lockert die Atmosphäre; das tut gut.

„Do wed gesunge un gespeelt mit Fleede un Trompete; die Kinna sache Gedichte vor un singe schäine Lieder.“

Begeisterung, Hingabe und Freude zeichnen die ausdrucksvollen Vorträge der Kinder aus. Gedichte rufen sie hinunter zu den Anwesenden, fein und klar dargestellte Flötenstücke erklingen und die schön und frisch gesungenen Leider wie „der Nussknacker, drei Könige aus Morgenland, am Barbaratag, am ersten Advent, goldnes Licht“, die Sigurd Becker komponiert hat, erfreuen alle. Das gemeinsam gesungene Lied „O du fröhliche“ und der Ruf der Kinder „Auf Wiedersehen, lieber Belzenickel, im nächsten Jahr!“ beendet langsam diese wunderschöne Begegnung. Zum Abschied erhält jedes Kind einen Belzenickelsweck.

„Zum Schluss kriegt jeres Kind en Weck, der schmeckt sou wunnabar; veelen Dank du gura Belznickel, wiedersehn im nächschde Joahr.“

Sogar der Rückweg bietet noch seinen besonderen Reiz. Einen wunderschönen Blick auf das nächtliche Weschnitztal können die Teilnehmer in sich aufnehmen.

Die Feier am 6. Dezember am Steinhäusel mitten im Wald ist einmalig, weil sie in der Natur stattfindet und jeder Teilnehmer, ob groß oder klein, eine lange Wanderung durch den geheimnisvollen Hornbacher Belzenickelwald von ungefähr einer Stunde auf sich nehmen muss.

Heute ist der Nikolaustag ein großes Ereignis für Hornbach und die ganze Gegend. Jeder, der einmal dabei war, wird es niemals mehr vergessen und kommt immer wieder.

Der Belzenickel früher und heute

Der Belzenickel polterte durch den ganzen Odenwald. Er hatte verschiedene Namen: Belzenickel, Pelznickel, Benznickel, Bensenickel – von Binsen, Gräse abgeleitet – und Strohnickel. Die letzten Strohnickel (Strohkleider) kamen aus Löhrbach und Knoden. In Hornbach heißt der Nikolaus schon immer Belzenickel. Früher war er der Angstmacher und Polterer, eine finstere Gestalt mit einem tief ins Gesicht gezogenen Schlapphut. Er trug einen langen Bart und einen Mantel, der mit Erntestricken oder Kuhketten zusammengebunden war. Mit einem Sack über der Schulter und einem dicken Prügel lief er brummen durchs Dorf. Er rumpelte und polterte lärmend ums Haus, klopfte ans Fenster und an die Tür und warf manchmal den Kindern ein paar Nüsse und Äpfel in die Stube.

Aber da draußen im Wald hatte man ihn in Hornbach noch nicht entdeckt; das blieb den Hornbacher Schulkindern, der Hornbacher Schule vorbehalten. Heute ist der Hornbacher Belzenickel der Gute, Hilfsbereite, ein Freund der Kinder. Er freut sich, wenn er an seinem Geburtstag im Steinhäusel besucht wird.

Feier im Wandel der Zeiten

Diese Feier am Steinhäusel hat sich aus ganz einfachen Anfängen herausgebildet. Zunächst waren es etwa 40 Schulkinder, die mit ihrem Lehrer hinauszogen, dann kamen einige Eltern mit ihren Kindern hinzu. Man ging nicht jedes Jahr, nur bei gutem Wetter und wenn die Kinder brav waren. Seit 1954 führt Sigurd Becker ohne Unterbrechung die Kinder und Erwachsene hinaus zum Steinhäusel. Im Unterricht übten die Mädchen und Buben für den 6. Dezember Gedichte, Lieder und Flötenstücke ein. Von Jahr zu Jahr wurde alles schöner und besser ausgeschmückt. Laternen, früher aus alten Dosen gebastelt, werden heute aus anspruchsvollerem Material hergestellt. Die Besucherzahl wuchs ständig. Im vergangenen Jahr waren es etwa 600, die mit wanderten. Deshalb wurde rund um das Steinhäusel eine Abgrenzung gezogen, zunächst mit Seilen, später mit Holzstangen, die mit Fichtenzweigen geschmückt und Laternen behängt, diese Naturbühne einrahmen. Seit 1985 treffen sich schon Wochen vor der Feier Kinder aus Hornbach bei Sigurd Becker und üben mit Freude und Eifer für diesen Tag.

Besonderer Dank und Anerkennung gebührt den treuen Helfern und Mitgestaltern, die durch ihre selbstlose Mitarbeit zum Gelingen der Feier beitragen. Die meisten von ihnen erlebten schon von Kind an das faszinierende und zauberhafte Geschehen im Weihnachtswald und am Steinhäusel. Alle sind Idealisten, die gerne helfen, mit den Herzen dabei sind un selbst große Freude in sich tragen.

Das Geheimnis um den Hornbacher Belzenickel

Wo steckt nun eigentlich das Geheimnis dieses faszinierenden Erlebnisses im Nikolauswald? Wenn seit 30 Jahren ein jetziger Hotelbesitzer in Amerika, der seine Jugend in Hornbach verbrachte und einige male den Nikolausabend miterlebt hatte, auch jetzt noch am 6. Dezember mit seinen Gedanken sehnsüchtig am Steinhäusel weilt und seiner Frau und seinen zwei Buben von unserem Belzenickel erzählt, wird deutlich, wie tief sich jene Eindrücke in die Seele eines Kindes eingeprägt haben.

Es ist genau dasselbe, wenn ein Mannheimer Vater alljährlich mit seinen Töchterchen von Weinheim aus über Windeck, Wachenburg, Kallstadt und Krähberg zur Nikolausfeier am Steinhäusel wanderte.Ähnlich ist es wenn vor 14 Jahren einem sechsjährigen Jungen aus Berlin sein Herzenswunsch erfüllt wurde, und er mit einem Flugzeug nach Frankfurt fliegen durfte, um gemeinsam mit seinem Großvater aus Mannheim den Nikolaus im Hornbacher Steinhäusel zu sehen.

So ist es auch vor etwa 20 Jahren gewesen. Ein achtjähriger Schulbub bekam zum Geburtstag eine Trompete geschenkt, die er in die Schule mitbrachte. Die Vorweihnachtszeit nahte und der Lehrer sagte zu ihm: „Wenn du willst, darfst du droben am Steinhäusel eine Melodie blasen.“ Und so geschah es, der Junge hatte seinen ersten unvergessenen Auftritt mit der Trompete. Daraufhin bekamen noch andere Hornbacher Kinder Lust zum Trompeten, und es bildete sich allmählich eine Bläsergruppe, später erweitert durch die Birkenauer Jugend, die jedes Jahr diese besondere Feier bereichert.

Und warum kommen sie wieder, die Eltern mit ihren Kindern, die ehemaligen Schüler, Bekannte und Freunde aus nah und fern?

Es ist das geheimnisvolle Naturerlebnis, in das das schlichte Geschehen am Steinhäusel eingebettet ist: Die Dämmerung, die dunkelnde Nacht, die hohen Tannen, die hellerleuchteten bunten Laternen, die glitzernden Sterne mit dem runden Mond am Himmelszelt und dann das großartige Ereignis am Steinhäusel mitten in Gottes freier Natur. Wer seinen Kindern und sich selbst eine vorweihnachtliche Freude bereiten möchte und den mühsamen Weg zum Steinhäusel nicht scheut, der lässt sich dieses Erlebnis im Hornbacher Nikolauswald nicht entgehen. Vielleicht hält der Belzenickel auch diesmal für alle Kinder einen Belzenickelsweck bereit.

Wichtiger Hinweis!

Der  Weg zum Steinhäusel ist teilweise sehr steil und bei Regen, Schnee und Frost rutschig. Es ist daher ratsam, vorsichtig zu sein, sich entsprechend zu kleiden und eine Taschenlampe mitzunehmen. Die Autofahrer werden gebeten nicht in die Waldwege einzufahren.